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TRÄUME

„Halte deine Träume fest“ – oder: Kleine Geschichte eines Organisten,

zu dem niemand mehr zum Singen kommen konnte.

„Halte deine Träume fest, / lerne sie zu leben. / Gegen zu viel Sicherheit, / gegen Ausweglosigkeit: / halte deine Träume fest.“

Was also macht er, der Organist, in diesen seltsamen Zeiten, wenn er niemanden mehr beim Singen begleiten kann? Lehrt uns nicht die Psychologie, dass jede Krise auch Chancen birgt? Auch davon soll hier die Rede sein. Frei nach dem bekannten Bild vom Berg und Propheten produziert er – mit tätiger Unterstützung freundlicher Menschen – kleine Liederclips zum Mitsingen („Mitsingen to go“ sozusagen) und schickt sie in die weite Welt hinaus. Und macht gleich die erste überraschende Erfahrung, dass er damit alles andere als alleine ist, wie die schöne tägliche Aktion „Mein Lied für dich“ des Bonner Kirchenkreises immer aufs neue beweist! Unter bonn-evangelisch.de können Sie dabei zu Gast sein – wenn Sie nicht längst zu den Stammhörerinnen und –hörern gehören!

Der eingangs erwähnte freundliche Mensch heißt in meinem Fall übrigens Friedemann Schmidt-Eggert. Er koordiniert für den Kirchenkreis die Auswahl der Choräle, kümmert sich tatkräftig um das Zustandekommen der Aufnahmen und – am schönsten: Er pflegt Austausch, bringt Gespräche ins Rollen über Lieder, Texte, vielleicht auch mal über die passende Art ihrer Begleitung. Ob wir uns dem Lied nun eher vom Text oder der Melodie her nähern: uns eint doch dasselbe Ziel, die Seelen der Zuhörenden und Mitsingenden zu erreichen, zu berühren. Und siehe da – der Herr Pfarrer entpuppt sich irgendwann sogar als „Kollege“, und schickt kurzerhand eine selbst eingespielte Version eines besprochenen Liedes.

„Halte deine Freiheit fest, / lerne sie zu leben. / Fürchte dich vor keinem Streit, / finde zur Versöhnung Zeit: / halte deine Liebe fest.“

Überraschungen sind zu erleben: Gewohnt sind wir alle es doch, das Jahr in den Schritten des „Kirchenjahres“ zu durchmessen – in Zeiten wie diesen aber, wo Trost und Zuspruch in den Choraltexten gesucht werden, verschieben sich sanft die Prioritäten. So habe ich auf seinen Vorschlag hin sehr gerne tief in der Passionszeit auch „Es ist ein Ros entsprungen“ und „Die Nacht ist vorgedrungen“ aufgenommen. Wunschlieder werden geäußert – Wünsche erfüllt: gestern erst den nach einer Doppelfassung zweier Lieder, deren Thematik und Rhythmus eng verwandt ist: „Der Mond ist aufgegangen“ und „Nun ruhen alle Wälder“. Fundstücke werden gemacht, neue Formen ausprobiert. Anfangs trafen wir uns noch in der Kirche – inzwischen, da die Kirchen weitgehend geschlossen bleiben und wir alle das Haus möglichst wenig verlassen sollen, ist plötzlich viel die Rede von Recording Apps und MP3-Umwandlungen. Inzwischen entstehen Fassungen von Chorälen am heimischen Flügel und sogar am Wurlitzer-E-Piano: eine Musik, die, lebten wir nicht gerade in so seltsamen Zeiten, womöglich so nie erklungen wäre!

Schöne Rückmeldungen gibt es, die rühren und dankbar machen, die vom Zusammenrücken erzählen. Davon, sich in der Trennung wieder behutsam etwas näher zu kommen: „Wir stellen uns einen großen Lautsprecher auf den Tisch, setzen uns alle drum herum und singen gemeinsam.“

„Halte deine Liebe fest, / lerne sie zu leben. / Brich mit ihr die Einsamkeit, / übe Menschenfreundlichkeit: halte deine Liebe fest.“

Apropos Träume: Viel ist heute von „der Zeit danach“ die Rede. Müssten wir alle dann nicht in jeder Bäckerei, in der es sich wieder knubbeln darf und in jeder Buchhandlung, in der es hoffentlich drängelig voll ist und in jedem Café, in dem es endlich wieder summt und brummt, ein Dankes- ein Endlichwiederwillkommensfest feiern? Zu den besonders schönen Momenten in meinem Organistenleben an der Kreuzkirche gehören seit langem diejenigen, in denen ich „Wünsche erfüllen“ darf – ganz direkt und ohne lange Bank, Planung und Vorbereitung – so in den Wunschlieder-gottesdiensten in der Weihnachtszeit. Sammeln Sie also jetzt schon Ihre Wünsche, schreiben Sie mir davon: zu einem solchen „Wunschliedersingen“ ganz außer der Reihe als Willkommensfest möchte ich Sie heute schon sehr gerne und ganz herzlich einladen!

Ihr Stefan Horz (Organist an der Kreuzirche)

 

 

Das zitierte (und auch bereits eingespielte Lied) „Halte deine Träume fest“ stammt von Eugen Eckert (Text) und Jürgen Kandziora (Melodie).

 

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