Um 10 Uhr ist Probenbeginn. Bertholz arbeitet und wir singen. Wir fangen hinten an und starten mit der Weltumarmung, denn so sollen wir die Letzten Takte „Dona nobis pacem“ singen.
Viele Stellen klingen schon wunderschön. Wenn aber die Konzertreife noch fehlt, werden wir angehalten, die hohen Töne zu pflücken oder gegen einen imaginären Gegner zu boxen. Die Wirkung, die die Körperübungen zeitigen, darf jede(r) für ein paar Minuten auf einem eigens neben Flügel und Dirigentin platzierten Zuhörerstuhl bewundern. Und es ist tatsächlich ein Wunder: hörte sich vorher eine Stimmgruppe oder der ganze Chor gerade noch matt an, so poliert die Bewegung den Klang auf Hochglanz = Konzertformat. Denn ob ascendit oder descendit, sitzen oder stehen oder auf der Stuhlkante sitzen, als würde man stehen, nicht nur die Stimmbänder machen Musik – unser Körper ist unser Instrument.
Trotz aller Übung und aller Übungen enthält die Missa Solemnis so manchen schwierigen Einsatz – gerade die kleinen Einwürfe haben es in sich. Zwar erklärt Karin uns stets, welche Tonart wir hören und welche wir dann zu singen haben und natürlich auch welche Stimmgruppe die Terz oder den Grundton singt, aber die wenigen MitsängerInnen, die damit etwas anfangen können, sitzen selten neben mir. Und dann müssen wir uns doch mal anhören: „Was immer da steht, richtige Töne wären auch schön“ – dabei stand da so ein schönes Zitat aus 2015, das wir „kultiviert reinschreien“ sollten. (Anm.: Silke hat das Cover des Mitschnitts des Missa Solemnis-Konzerts der Kantorei von vor sechs Jahren „herausgesucht“. )
Noch bleiben ein paar Wochen, um auch hier richtig kultiviert reinzuschreien bzw. kultiviert richtig reinzuschreien. Und seit wir wissen, wo „die Stelle, die immer um h-Moll kreist“ ist (Seite 107, Buchstabe D), „spüren wir, dass es auch ein Happy End geben kann“ (Seite 108). Ganz besonderen Dank möchte ich hier ausdrücklich an die Tenöre richten, die sich in den letzten Wochen so fantastisch gesteigert haben.
Sie „sorgen ja an dieser Stelle für so eine Unruhe und dann machen sie einen auf liebe Jungs“ (war es im Credo oder im Gloria?), aber das so schön, dass wir wirklich an das Happy End glauben.
Ganz beglückt geht es um 15 Uhr ins lange Wochenende.
Anke (Sopran)
Weitere Informationen zu Mitschnitten und Aufnahmen aus der Kreuzkirche gibt es beim Freundeskreis Musik in der Kreuzkirche.