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WAS FÜR EIN EINSTAND: BEETHOVENS NEUNTE!

Auferstehn, ja auferstehn – Vox Bona bestreitet mit der Eröffnung des Beethovenfestes sein erstes großes Konzert nach Corona

Was für ein Einstand! Anderthalb Jahre lang hat man pandemiebedingt nicht mehr in voller Chorstärke gesungen und dann steigt man nach dieser langen Pause gleich mit einem stimmlich höchst anspruchsvollen Stück ein: Beethovens Neunte Sinfonie mit dem berühmten und ziemlich bombastischen Schlusschor, der Ode an die Freude. Und das auch noch in einem ganz besonderen Rahmen, beim Eröffnungskonzert des diesjährigen Beethovenfests, das nach dem ausgefallenen Beethoven-Jubiläumsjahr mit besonderer Spannung erwartet wurde. Inklusive einer Live-Übertragung in Bild und Ton aus einem knochentrockenem Saal und der Leitung durch einen Star-Dirigenten, einer Ikone auf dem Gebiet der alten Musik, dem Dirigenten und Gambisten Jordi Savall. Da möchten wir natürlich doppelt glänzen! Nein, kein leichter Wiedereinstieg für unseren von Corona gebeutelten Chor und keine gnädigen Bedingungen für ein Stück, das so anders als unser Kernrepertoire beschaffen ist und dessen Inhalt heute noch – oder wieder – brisant ist.

Doch Vox Bona liebt Herausforderungen! Und dass Jordi Savall sich bewusst gegen einen Opernchor und für einen jugendlicheren, leichteren Chorklang entschieden habe, erhöht ebenfalls das Selbstvertrauen. Mit dem Lernen der Töne hatten wir schon Anfang 2020 für ein Konzert unter Teodor Currentzis begonnen, das dann wegen Corona abgesagt werden musste. Nun galt es also vor allem, zunächst die doch leicht eingeschlafenen Stimmen wieder in Form zu bringen.

Unter Karins Leitung konnten seit den Sommerferien wieder reguläre Proben vor Ort stattfinden, bevor dann am Montag vor dem Konzert zum ersten Mal Lluis, der musikalische Assistent des Maestro, die Arbeit mit uns aufnahm. Und was für ein Glücksfall dieser Musiker für uns war! Selbst mit einem sängerischen Hintergrund ausgestattet, war er sensibel für die chortechnischen Feinheiten wie Absprachen der Wortendungen, Phrasierung nach dem Text oder der Zentrierung des Klangs im Körper. Und so gelang es ihm, uns das Stück mit Energie, Detailgenauigkeit und viel Humor noch näher zu bringen – tatkräftig unterstützt von unserer Altistin Barbara, die ihr Talent als Dolmetscherin von Spanisch auf Deutsch unter Beweis stellen konnte. (Foto: M. Meyer)

Das Kontrafagott ist der heimliche Star des Abends

Einen Tag vor dem Konzert dann zu später Stunde die erste Probe mit Orchester und Dirigenten, unter vom Beethovenfest sehr gründlich organisierten Bedingung. Ohne Impfnachweis oder Negativ-Test kommt hier keiner rein! Jordi Savall entpuppte sich als charismatischer, aber sehr gelassener Dirigent ohne jegliche Star-Allüren. Sein Orchester Le Concert des Nations leitet er mit ruhiger Hand und trockenem Humor und springt dabei mal eben so zwischen Deutsch, Englisch, Spanisch Französisch und Italienisch hin und her. Ein echtes Erlebnis ist dabei die Besetzung mit alten Instrumenten – das neue Kontrafagott ist auf jeden Fall der heimliche Star des Abends! Von meinem glücklichen Platz genau in der Mitte der Chorreihen kann ich aber alle Instrumentengruppen gut hören. Und das ist wirklich ein anderer Beethoven, weniger bombastisch, aber auch weniger glatt im Klang. Nichts knallt, aber alles vibriert und schnurrt. Das klingt nicht so sehr nach der abgesonderten Enklave des feinen Konzertsaals von heute: Türen schließen, stillsein, das Ohr mit angenehmen Klängen durchspülen, ein paar humanistische Phrasen über die Weltgemeinschaft beklatschen. Wenn die Hörner gelegentlich schön scheppern und es beim Einsatz des Kontrafagotts ordentlich schnarrt, ist mehr Natur dabei, mehr Leben. Mehr Mensch?

Ich persönlich tue mich immer noch schwer mit Schillers Text, vor allem in Beethovens Vertonung und mit der Rezeptionsgeschichte, die diese inzwischen hat. Für politische Anlässe der verschiedensten Richtungen ge- und missbraucht und heute als Hymne einer Union bekannt, die ihre eigenen Ideale nicht mehr glaubwürdig vertritt, fällt es mir schwer, den Text von der weltweiten Verbrüderung unbefangen zu singen. Wie von der vereinenden Freude sprechen, wenn man sich einer Staatengemeinschaft zugehörig fühlt, die nach Beethoven in verschiedenen Regionen der Welt Chaos gestiftet hat? Dazu siegende Helden und errungene Weiber. Nun ja.

Doch unsere Karin wäre nicht Karin, wenn sie die gesellschaftliche Dimension der Musik nicht mitdenken und uns vor dem Konzert eigene Gedankenanstöße mitgeben würde. Gerade in der heutigen Zeit, so schlussfolgert sie, wollen wir umso mehr an diesen Idealen festhalten und sie auch in unserem Musizieren ausdrücken. Von den späteren Beethoven-Vereinnahmungen zurücktreten, sich einmal ganz auf den so hoffnungsvollen Text besinnen und seine Botschaft ehrlich bekräftigen.

Ein neuer alter Beethoven

Back to the roots, sozusagen. Jordi Savalls Orchester macht das auf seine Weise vor und so springt der Götterfunke der Freude spätestens im Konzert vor dem glücklichen Publikum dann auch auf mich über. Zu einem kulturellen Neuanfang zwingt uns die Corona-Pandemie seit Monaten, und vielleicht hat das ausgefallene Jubiläumsjahr Gelegenheit zu einem frischen Blick auf Beethoven und sein Erbe gegeben. Vox Bona jedenfalls kann mit Stolz und Dankbarkeit auf ein weiteres großartig bestrittenes Konzert unter herausfordernden Bedingungen zurückblicken. Wir sind zurück und freuen uns auf alles weitere, was jetzt kommt!

Übrigens, wer es verpasst hat: der Live-Stream des Konzertes ist noch bis Anfang September unter diesem Link auf youtube abrufbar.

Dorothee Pahnke

(Titelfoto: K. Hertrampf)

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