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LEBENSLIEDER: KÖNNEN UND KUNST – EINE STIMME – VIELE WORTE

Das Konzert „Lebenslieder“ im Rahmen des Beethovenfestes Bonn ist eine musikalische Reise durch existenzielle menschliche Gefühle, dargestellt als immersives Konzerterlebnis. Menschengedanken und Menschengefühle über die zeitlose Frage »Was macht das Menschsein aus, wo gehen wir hin in dieser Welt, oder geht sie ohne uns weiter?«. Mit Werken von Mahler, Schönberg, Grigorjewa, Sandström, Arnesen, Edenroth, M. Jackson.
Von VOX BONA unter der Leitung von KMD Karin Freist-Wissing, am Dienstag, 13. September 2022, 19.30 Uhr im Volksbankhaus

Leitung, Mitwirkende und Konzertbesucher haben eine Stimme und viele Worte….

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Karin Freist-Wissing schreibt dazu:

Was bedeutet „LEBENSLIEDER? Um dieses Wort mit Leben zu füllen, müssen wir es in den Zusammenhang des Themas des ganzen Beethovenfestes 2022 „Alle Menschen“ stellen.

Wir wollen uns in diesem Konzert mit den Extremen menschlichen Verhaltens beschäftigen. Wir alle haben viele Seiten in uns, die oftmals nur sehr selten sichtbar werden. In der Musik aber werden tiefste Gefühle, sowohl negative, wie auch positive, sichtbar und hörbar und damit erlebbar.

Was sind die Grundbedürfnisse unserer menschlichen Existenz? Liebe, Hoffnung, Überleben, Respekt, Mitgestaltung/Aktivität, Friede.

Was tun Menschen Menschen an, als Umkehr der Bedürfnisse gedacht? Hass, Verzweiflung, Tod, Missachtung, Unterdrückung, Krieg.

Schon in ganz früher Zeit war die Musik die Möglichkeit, Gefühle zu erklären, ein Ventil zu sein, zu ordnen und zu verarbeiten. Auch heute noch, in unserer doch so freien Welt, sind diese Ventile, diese emotionalen Nischen, in denen Menschen sich einlassen können auf die Tiefen der menschlichen Existenz, notwendig und hilfreich. Vielleicht können sie sogar Wahrnehmungen, Lebensweisen und Ansichten verändern.

In unserem Programm singen wir von Visionen, die Menschen in großer Sehnsucht haben. Dazu gehört an erster Stelle Arnold Schönbergs „Friede auf Erden“. Hier entwickelt der Komponist eine überwältigende klingende Utopie, realistisch und doch visionär, mit großer Klangwucht, die die Brutalität des Menschen darstellt genauso, wie die äußerst zarte Hoffnung auf „etwas wie Gerechtigkeit“, ohne die die Menschen gar nicht leben könnten.

Es ist Schönbergs letztes spätromantisches Werk, bevor er sich ganz der 12-Ton-Musik widmet. Er geht bis an die Grenzen der Tonalität, ohne sie wirklich zu verlassen. Der „Sternenraum“ hat hier eine große Bedeutung, das Unsichtbare aber Gewaltige, das den Menschen beeinflusst, Ziel seiner Hoffnung und Sehnsucht ist als Abbild für das menschliche Miteinander auf dieser Erde.

In vier völlig unterschiedlichen Strophen entwickelt Schönberg seine Friedensutopie. Es gibt ein immer wiederkehrendes Thema, das direkt in der ersten Strophe vom Bass eingeführt wird, es klingt wie ein Glockenläuten in schwingenden Halben, im Auf und Ab von Terzen, Quarten und Quinten. In der dritten Strophe hören wir dieses Thema in unglaublicher Harmonik wie einen Geisterchor, es wirkt auf den Hörer, als würden die gefolterten, unterdrückten, ermordeten Menschen aus dem jenseits mit letzter Kraft singen.

Am Ende des Werkes erklingt das Thema wie eine euphorische, opernhafte, hochdramatische Forderung nach „FRIEDEN“ , der sich wirklich niemand entziehen kann.

Diese Musik kann Menschen verändern!

„Friede auf Erden“ ist kein geistliches Werk im eigentlichen Sinne. Der junge Schönberg stand im Spannungsfeld zwischen Judentum, Protestantismus und Agnostizismus. Man kann dieses Werk als Weltanschauungsmusik mit ergreifendem Charakter bezeichnen.

Auch Michael Jackson entwickelt in seinem berühmten song „will you be there“ in Form von Fragen eine Vision. Werden wir gehalten, getragen, getröstet wenn wir fallen? Jackson beginnt mit Beethoven, dem Chorabschnitt aus der Neunten Sinfonie, in dem die Welt den Schöpfer „über’m Sternenzelt“ suchen soll. Der Sternenraum als Zufluchtsort. Auf Beethoven folgt ein Duett im Renaissancestil, bevor dann der eigentliche song einsetzt. Es folgt eine eindringliche Komposition, die im Wechsel zwischen Chor und Soli mit einer großen Steigerung der Emotionen die ZuhörerInnen einfach mitreißt in eine bewegte rhythmische Klangwelt.

Der letzte Teil ist ein zarter a cappella Abschnitt, der als Klanggrundlage für eine Stimme mit gesprochenem Text dient, die noch einmal die hoffnungsvolle Frage stellt: „Will you be there?“

Diese Frage ist der verzweifelte Fokus des Chorwerkes „Even when he ist silent“ von Kim André Arnesen, 2011 komponiert auf den anonymen Text aus einem Konzentrationslager der NS-Zeit.

Dieser kurze Text trifft mitten ins Herz, und so vertont auch Arnesen, der 1980 geborene Norweger.

Sein Stil ist klangvoll tonal mit Dissonanzen, die er lautmalerisch als Textausdeutung einsetzt.

Der Beginn des Werkes ist quasi improvisatorisch, rhythmisch frei, von extremer dynamischer Bandbreite.

Im Mittelteil erweitert Arnesen die Tonalität durch schmerzhafte Klusterklänge, um im dritten Teil zu einer mit „sanften“ Dissonanzen angereicherten Hamronik zurückzukehren.

Ebenfalls von großer Dramatik und hochaktuell ist „Mama, sorry that I drowned“ von Anders Edenroth, 1963 in Schweden geboren.

Edenroth war bis Dezember 2020 für 37 jahre lang Sänger und musikalischer Kopf der Vocal group „The Real Group“ aus Schweden. In seinen Chorstücken vereint er Jazzelemente mit klassisch-moderner Tonsprache. Er fliegt virtuos durch unterschiedlicheste Tonarten und Rhythmen in einer Weise, die das Zuhören spannend und gleichzeitig verwirrend macht. „Mama, sorry, that I drowned“ hat einen sehr freien Mittelteil, in dem eine Chorstimme ein frei zu gestaltendes Solo singt und die anderen Stimmen in immer dichter werdender Harmonik begleiten. Das Werk schließt mit einem Quint-Sext-Moll Akkord in hoher Lage, der die ZuhörerInnen zutiefst bewegt und auch ratlos, ob dieser menschlichen Grausamkeit, zurücklässt.

Um die innere Welt geht es in Mahlers, von Clytus Gottwald für 16-stimmigen Chor bearbeiteten Musik aus seiner 5. Sinfonie. „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ ist ein wunderbar spätromantisches Werk, das die menschliche Stimme im Umfang und der dynamischen Bandbreite voll ausreizt. Mit diesem Chorstück schließt Gottwald eine Lücke in der Chor a cappella-Literatur aus der Zeit der Spätromantik, in der die Komponisten kaum etwas für dieses Genre geschrieben haben.

Das letzte Werk dieses Abends ist „Advance Democracy“ von Benjamin Britten, ein leidenschaftlicher Aufruf an die Selbstbestimmung des Menschen und seine soziale Fähigkeit zur Gerechtigkeit. In deklamatorischer Tonsprache, die fast in den Sprechgesang mündet, und  sich mit sehr lyrischen, gesanglichen Phrasen abwechselt, zeigt Britten, wie intensiv Musik eine politische Aussage haben kann, ohne parteipolitisch oder gar populistisch zu sein. Die Tonart wechselt im letzten Teil des Werkes von g-Moll/c-Moll zu einem strahlenden C-Dur. So endet der Abend hoffnungsvoll mit einer Vision eines menschlichen Miteinanders, das „ALLE MENSCHEN“ erleben dürfen.

Alle Chorwerke dieses Programms bedienen sich einer höchst emotionalen Tonsprache, die den SängerInnen und den ZuhörerInnen sehr viel abverlangt. Sich mitreißen lassen in diese Texte, die in die Tiefen menschlicher Existenz führen, sich öffnen für die eindringliche, schmerzhaft ehrliche Musik, sich einlassen auf höchst romantische Tonsprache mit modernen improvisatorischen Elementen kann Standpunkte verändern, Gefühle aufbrechen lassen und vielleicht Wandel in der Wahrnehmung aktueller gesellschaftlicher Themen herbeiführen.“

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Eine Stimme eines Konzertbesuchers:

„Lebenslieder“ – allein der Titel des Konzerts von Vox Bona hatte mich schon neugierig gemacht. Ich höre eher selten a-cappella Musik und kannte daher auch keines der Stücke des Programms. Aber von den ersten Takten an war ich fasziniert von der Präzision, Intonationssicherheit und Musikalität der Sänger*innen. Die Musik wurde mit so viel Leidenschaft vorgetragen und hat mich wirklich tief berührt. Das ist für mich der Unterschied zwischen Können und Kunst, wenn man die Herzen der Menschen erreicht. Nach den einzelnen Stücken hat sich lange keiner getraut zu klatschen, weil man einfach diese Stimmung nicht zerstören wollte.

Martin Herberg

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Henrietta, eine unserer Mitsängerinnen, hat sich mit Musik und Texten unseres Programms „Lebenslieder“  intensiv auseinandergesetzt und einen eigenen Text auf Basis des Werks „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ von Gustav Mahler/Clytus Gottwald sowie ein Bild zu „Sorry that I drowned“ hat sie uns für den Blog zur Verfügung gestellt! Danke, Henrietta, für Deine Sicht der Dinge!

Story of a Horse

„Story of a Horse“ (Henrietta)


There was a horse. A vigorous, eyesome black horse. Brimmed over with strength and power it vitally gallops towards heaven while a puissant whicker leaves the atmosphere vibrating. The wind beats its brilliantly shining body and blows through the mane. The hooves are furiously trampling on the clouds. The air is filled with energy and pressure. Then all of a sudden the vivacity leaves its body and the wind withdraws. Out of agitation and desperateness it turns his head. The black in its eyes becomes larger and vacant and the appalled horror in them is followed by a terebrant, plangorous and painful cry. Froth springs out of its mouth. An uncontrolled kicking with its hooves. A forlorn wailing for firm ground beneath its feet. But there is only abysmal emptiness. Every power is gone.

 

(Henrietta)

Gravity slings her clutches around the horses waste and grabs its shoulders. The eccentric movements congeal. The moans lap into silence. Defenceless the horse lays its tired and exhausted body into gravities arms. Like a caring mother gravity dries its tears and carries it home. Its head lightly laid lateralward, the eyes closed. The strained breathing gradually becomes calmer and deeper. The chest lifts and lowers in a slower becoming rhythm. Together they come in contact with the, with yellow, redolent flowers covered, ground.

(Henrietta)Gently she lays her child in the already made bed and covers it with a cloth of mellow air. A balmy breeze tenderly strokes its mane out of its face. One last time the horse opens his eyes. With deep relaxation and relief it looks at the light blue welkin. One last satisfied glimpse and then the heaviness of tiredness sweeps its pinions above its eyes to deprive them of the scorching light. Escorted by a lovely lullaby the black horse falls asleep. Passed away with no concerns. Joyfully it is lost to the world, dead to the worlds turmoil. It lives alone in a quiet realm, alone in its heaven, its love, its song.

Inspirational song to stimulate my feelings towards this topic
Gustav Mahler “Ich bin der Welt abhanden gekommen“ (Arr. C. Gottwald)
https://www.youtube.com/watch?v=0J3o41fhr44
 

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Und „extra“ für das Konzert aus Kanada……

„On Tuesday, September 13, I was privileged to attend the evening concert of the VOX BONA chamber choir at the Volksbank-Haus in Bonn. The concert was billed as part of the 2022 “Das Bonn  Beethovenfest” and was classified as “Lebenslieder” or songs about life. It included a wide variety of musical styles and composers, in an effort to express the feelings and emotions of all peoples, which was the theme of this year’s Beethoven Festival. To that end, the choir was able to capture the feelings and moods of love, longing, hope, respect, and yearning for peace through its selection of appropriate songs. One only wished that a representative selection or transcription of Beethoven’s music might have been included. It is, after all, part of a Beethovenfest and Beethoven is the ultimate and consummate Romantic emotional composer.

The concert opened with Sandström’s “Im paradisum”, which turned out to be one of my favorite selections of the evening. The choir was unseen and perched some four floors above the audience. The ethereal sound from above floated down and enveloped the audience, truly transporting one into the portals of heaven. Once the choir came down to the stage level, one could see that the singers were interspersed and not sitting in vocal sections. This made for a wonderful balance and blend of voices within the choir, where no one particular voice or section dominated. The first half ended with a lively and interesting rendition of a text from Shakespeare’s Macbeth, entitled “Double Double Toil and Trouble” written by Mäntijärvi.

The second half of the program was vocally more challenging, with pieces by Schönberg, Mahler and Britten demanding that the singers sing more independently because of the up to 16 different voicings, and to express poignant emotions of longing for peace, separation from the world, and the drama of death through war. Edenroth’s piece entitled “ Mama, Sorry that I drowned” and Arnesen’s “Even when He is Silent” were also sung very effectively. The Norwegian encore “Home is where the Heart Is” evoked feelings of longing and nostalgia within this Canadian traveller’s heart, and was a truly fitting way to end a special musical evening.

Thanks must be extended to the choir members and its conductor for giving us such a rich potpourri of musical delights.

Karin Klassen, Winnipeg, Manitoba Canada

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