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SERIE „PASSIONEN“ – TEIL 6 „JOHANNESPASSION – EINE REVOLUTION IN LEIPZIG“

Artikelreihe von Karin Freist-Wissing über die beiden Bach-Passionen – „O GROßE LIEB“ – J.S. Bachs Leidenschaften – Johannespassion – Matthäuspassion, was ist das?

Artikel 6:  „Johannespassion – eine Revolution in Leipzig“

In seinem ersten Dienstjahr als Kirchenmusiker in Leipzig hatte sich Bach viel vorgenommen. Er wollte für jeden Sonntag des Jahres eine neue Kantate komponieren, einstudieren und aufführen. 

Im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts war Leipzig eine eher konservative Stadt. Es gab zwar eine Oper, aber eine opernhafte Passions-Musik konnte sich dort kaum jemand vorstellen. 

Hamburg beispielsweise war da schon viel weiter, dort wurden bildreiche, emotionale und dramatische Passions-Vertonungen am Karfreitag aufgeführt. Für die Leipziger Gemeinde, und vor allem für die Pfarrer muss die Aufführung von Bachs Johannes-Passion am Karfreitag 1724 eine wahre Revolution gewesen sein. Oft genug empfanden sie die Musik als Konkurrenz zu ihrer Predigt. 

Es war sehr mutig von Bach, sich in einer Universitätsstadt mit einer berühmten theologischen Fakultät in dem Bereich der Bibelexegese so prominent und gewaltig zu äußern. 

Es gibt einen Zeitzeugenbericht, der nach dem Anhören einer solchen Musik verfasst wurde, und hervorragend die Gemütsverfassung der Leipziger GottesdienstbesucherInnen angesichts einer solchen Musik widerspiegelt: 

 „… Als in einer vornehmen Stadt diese Passionsmusik mit zwölf Violinen, vielen Hautbois Fagots und anderen Instrumenten mehr, zum ersten Mal gemacht ward, erstaunten viel Leute darüber, und wussten nicht, was sie daraus machen sollten. Auf einer adeligen Kirchstube waren viele hohe Ministry und adelige Damen beisammen, die das erste Passionslied aus ihren Büchern mit großer Devotion sungen: als nun diese theatralische Musik anging so gerieten alle diese Personen in die größte Verwunderung, sahen einander an und sagten: was soll daraus werden?  

Eine alte adelige Witwe sagte: behüte Gott ihr Kinder! Ist es doch, als ob man in einer Opera  Komödie wäre: alle aber hatten ein herzlich Missfallen daran, und führeten gerechte Klagen darüber. Es gibt aber freilich auch solche Gemüter, die an solchen eitelen Wesen ein Wohlgefallen haben, zumal wenn ihr Temperament Sanguinisch oder zur Wollust geneigt ist. Diese defendiren denn die großen Kirchen-Musiken auf das Beste, als sie immer können, halten andere vor Grillenfänger und melancholische Geister oder Humoristen, gerade, als ob sie allein alle Weisheit Salomons besessen, andere aber nichts verstünden.“  

(Christian Gerber, Dresden 1732) 

 Wenn wir uns die Situation Bachs in der Leipziger Thomasschule anschauen, dann sehen wir, dass Bach für die Aufführung der Johannes-Passion einen Chor von allerhöchstens 24 Knaben und Männern zur Verfügung hatte. Die Probezeit belief sich auf allerhöchstens zwei Wochen. 

Man kann sich eigentlich kaum vorstellen, dass diese anspruchsvolle Musik auf diese Weise qualitätsvoll auf die Bühne zu bringen war. Wie großartig wäre es, man könnte nur einen kurzen Augenblick in das Jahr 1724 hineinhören… 

Mit der Aufführung der für die damalige Zeit extrem modernen Musik der Johannes-Passion, brach Bach nachhaltig und vehement mit den total konservativen Traditionen.  

Was eigentlich so revolutionär an dieser Musik war und ist, erzähle ich im nächsten Artikel. 

Karin Freist-Wissing

Weitere Informationen zur „Johannes-Passion“ am 27. März 2022 in der Kreuzkirche.

Weitere Informationen zur „Matthäus-Passion“ am 15. April 2022 in der Kreuzkirche.

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