You are currently viewing SERIE „PASSIONEN“ – TEIL 9 „WER HAT DICH SO GESCHLAGEN? – ICH?“ DIE BACH-CHORÄLE

SERIE „PASSIONEN“ – TEIL 9 „WER HAT DICH SO GESCHLAGEN? – ICH?“ DIE BACH-CHORÄLE

Artikelreihe von Karin Freist-Wissing über die beiden Bach-Passionen – „O GROßE LIEB“ – J.S. Bachs Leidenschaften – Johannespassion – Matthäuspassion, was ist das?

Artikel 9: „Wer hat dich so geschlagen? — Ich ?“ – Die Bach-Choräle – Inseln der musikalischen Vernunft 

Die Choräle erzählen in der Johannespassion eine ganz eigene Geschichte.    

Sie eröffnen eine neue Zeitebene. Mit ihnen verbindet Bach die Vergangenheit mit der Gegenwart und auch mit der Zukunft, also bis hin zu uns heute. In den Texten und Melodien der Choräle kommentieren die Zuhörerinnen und Zuhörer an das Geschehen, sie bekräftigen oder verurteilen. Auf jeden Fall werden wir direkt ins Geschehen mit hineingenommen, man kann sich diesen Emotionen gar nicht entziehen.  

Der erste Choral der Johannes Passion O große Lieb, o Lieb ohn alle Maße“, präsentiert uns gleich den Kern gGedanken der Passionsgeschichte dieses Evangeliums: Schauen wir nicht in erster Linie auf den Tod, sondern auf das Leben Jesu. Die Kreuzigung ist die notwendige Voraussetzung für die Offenbarung des Lebens, die Auferstehung. In seinem Leben hat Jesus uns seine über große Menschen lLiebe vermittelt, die sich in Vergebung Güte und Gnade ausgedrückt hat. So beginnt der Text dieses  

eersten Chorales mit „oh große lieb, O Lieb ohn alle Maße“. Er schließt direkt an, an eine unglaubliche Szene: Jesus ist mit seinen Jüngern im Garten Gethsemane, und die Soldaten kommen, um ihn gefangen zu nehmen. Jesus geht iIhnen ohne Angst entgegen, und spricht zu ihnen: „sucht ihr denn mich? So lasset diese gehen.“ Für seine Jünger, für uns ist er treu bis in den Tod. 

Der zweite Choral: „dein Wille geschehe Herr Gott zu gleich auf Erden wie im Himmelreich“  

Wenn wir uns unter den Schirm dieser Liebe stellen, dann sind wir Friedensbotschafterinnen und Lebensbejaher. Geduld in Leidenszeit. Das ist keine leichte Aufgabe, aber Jesus lebt uns diese Geduld und die Gewaltlosigkeit vor. Der Choral ist die direkte Antwort auf die Aggression von Petrus, der Jesus mit dem Schwert verteidigt, und einen Soldaten verletzt. 

Eigentlich wird versetzt uns diese Szene angesichts des Krieges in der Ukraine in eine große Ratlosigkeit. Wie können wir einen solchen Standpunkt leben? Wo bleibt hier die Gerechtigkeit? Ich habe auf diese Frage keine Antwort. 

Der dritte Choral: „wer hat dich so geschlagen?“ 

Von diesem Choral müssen wir den ganzen Text lesen:  

Wer hat dich so geschlagen, mein Heil, und dich mit Plagen, so übel zugericht , Du bist ja nicht ein Sünder, wie wir und unsere Kinder, von Missetaten weißt du nicht.  

Ich und meine Sünden, die sich wie Körnlein finden des Sandes an dem Meer, die haben dir er regelt das Elend, dass dich sSchlägeth, und das betrübte Marter her. Punktpunktericht?  

Ich, ich und meine Sünden, die sich wie Berlin finden des Sandes an dem Meer, die haben dir erreget das Elend, dass dich schläget, und das betrübte Marterheer. 

Vorausgegangen ist die Szene, in der Petrus seinen Freund und Meister verleugnet. Petrus, der von Anfang an mit Jesus gegangen ist und seine gesamte Geschichte hautnah miterlebt hat. Er verleugnet Jesus, er ist passiv obwohl er weiß was passieren wird.  

Der Choral fragt nach uns. Was tun wir? Was tun wir angesichts von Gewalt und Mord in der Welt? Verdrängen verleugnen wir das? Werden wir schuldig, jeden Tag neu, weil wir nichts tun? Diese Frage trifft mitten ins Herz. 

Der vierte Choral schließt den ersten Teil der Passion ab: Petrus, der nicht denkt zurück 

Dieser Choral beschäftigt sich mit dem Gewissen. Was ist das für ein riesiges Thema. Mein eigenes Gewissen ist Kompass für mein Handeln? Gibt es ein kollektives Gewissen? Die letzte Zeile benutzt Wörter, die für uns heute fast zu allgemein und zu besetzt sind, trotzdem ist es eine Aussage, die mich nicht kalt lässt: „wenn ich böses hab getan, rühre mein Gewissen.“ 

Außerdem geht es in diesen Coral um Blicke Petrus beginnt auf einen ernsten Blick seines Freundes Jesu hin bitterlich zu weinen. Der Blick in die Augen zeigt die Wahrheit, die man nicht verleugnen kann. Von Angesicht zu Angesichts lassen wir uns anrühren, die Distanz lässt uns gleichgültig, ja manchmal grausam werden. 

Genau so ist es doch heute, wenn ein kollektives Leiden ein Gesicht bekommt, ein Einzelschicksal sichtbar wird, dann fühlen wir uns ganz anders verantwortlich. Dann ruft das in uns ein echtes und wirkliches mit leiden hervor. 

Eingangschoral zum zweiten Teil: „Christus, der uns selig macht“ 

Dieser Choral ist ein Wunderwerk der Harmonisierung. Bach gibt hier jedem Wort einen tieferen Bedeutungssinn durch die Art wie er es vertont. Schlüsselw Worte wie: bös, Dieb, gefangen, gottlos, fälschlich verklaget, verlacht und verhöhnt. Hört euch diesen Choral 3-4 mal hintereinander an und achtet auf diese Worte, Ihr werdet beeindruckt sein. 

Der sechste Choral: „ ach großer König, groß zu allen Zeiten“ 

In diesem Coral befinden wir uns mitten in der Königsfrage. Pilatus fragt nach dem politischen Königstitel. Jesus antwortete: mein Königtum ist nicht von dieser Welt. In diesen Coral fragen wir nach der großen Liebe Jesu. Wie können wir sie erkennen, wie können wir sie fassen? Jesus gibt in seinem Leben eine Antwort darauf. Er sagt: sucht das Himmelreich nicht irgendwo, denn es ist mitten in euch. Das stellt uns in eine riesige Verantwortung, ist aber auch eine lLebensb Bejahende Motivation 

Der siebte Choral: „durch dein Gefängnis Gottes Sohn“ 

Dieser Choral ist das architektonische Zentrum der gesamten Passion. Interessanterweise entstammt der Text keinem Kirchenl Lied, aber Bach setzt ihn an diese zentrale Stelle. Um diesen Choral herum ist die ganze Passion spiegelbildlich aufgebaut. Es geht um die Freiheit, die Freiheit, die Jesus uns durch sein Sterben, und vor allem durch seine Auferstehung vermittelt hat. Der Choral steht in tiefer Stimmlage, strahlt dadurch Wärme und Ruhe aus, als Tonart wWähelt Bbach jedoch das scharfe kernige E-Dur, das für Aggression und Schmerz steht. So ist in diesen wenigen Takten die ganze Dramatik des Passionsgeschehens eingefangen. 

Der achte und neunte Choral 

Sind Trostchoräle. Melodie und Text sind von Bach sehr klangvoll harmonisiert. Mit den Texten können wir uns als heutige Menschen identifizieren, sie sind voller Trost und Hoffnung auf das Leben, zu dem der Tod in so vielfältiger Weise doch gehört. 

Der zehnte Choral: „Jesu, der du warest tot, lebest nun ohn Ende.“ 

Ist versteckt in die wunderbare Arie „Mein lieber Heiland“. Der Chor singt ihn vierstimmig in sehr tiefer Lage in das tänzerische, schwingende Duett von Cello und Bariton hinein. 

Es ist ein Lied des Lebens und macht ganz klar, dass das Leben das ist, was uns Sinn und Freude gibt im Hier und Jetzt. Und dieses Leben ist das Kostbarste, was es gibt für alle Menschen. So hat Jesu Leben Heilsbedeutung, sein Tod ist die Voraussetzung für dieses Leben. 

Der elfte Choral: „O Hilf Christe Gottes Sohn” 

Ist sozusagen eine Zusammenfassung dessen, was wir aus der Passionsgeschichte lernen können. Das Leben Jesu soll uns als Vorbild dienen, wir sollen darüber nachdenken, welche Bedeutung sein Tod, seine Auferstehung und sein Leben für uns haben kann. 

Der zwölfte Choral: „Ach Herr, lass dein lieb Engelein“ 

Ist einer der emotionalsten Choräle, die Bach vertont hat. Ungewöhnlich ist, dass Bach nach dem großen Schlusschor noch einen Choral anschließt. Im Schlusschor ist die Menschheit als Ganzes angesprochen, es geht um den Tod als „Ausruhen“, das war für Bach ein großes Lebensthema. 

Im anschließenden Choral wird es ganz persönlich, es geht umn mich allein. Ausgedrückt wird der Wunsch, im Tod aufgehoben zu sein, der Wunsch, dass der Tod nicht das Ende meiner Existenz ist, wie auch immer dieses „Aufwecken“ und „Aufstehen“ aussehen kann. 

In den letzten Takten „unterschreibt“ Bach die ganze Passion mit seinen Initialen und gibt uns gleichzeitig noch eine Weisheit mit auf den Weg. 

Die Bässe singen und spielen in umgekehrter Form die Töne HCAB, als BACH.  Seine Aussage: Lasst uns umkehren, und das beziehe ich auf das Leben. 

 Karin Freist-Wissing

Weitere Informationen zur „Johannes-Passion“ am 27. März 2022 in der Kreuzkirche.

Weitere Informationen zur „Matthäus-Passion“ am 15. April 2022 in der Kreuzkirche.

Diesen Beitrag teilen:

Schreibe einen Kommentar