Artikelreihe von Karin Freist-Wissing über die beiden Bach-Passionen – „O GROßE LIEB“ – J.S. Bachs Leidenschaften – Johannespassion – Matthäuspassion, was ist das?
Artikel 7: „Wie im Film: ein Held, ein paar Bösewichter, Verrat, Intrige und kein happy end?“
Bach komponierte seine Johannes-Passion als grandioses, zeitloses Kunstwerk, aber eben auch als Musik aus tiefstem Glauben geschrieben.
Im Eingangschor „HERR, unser Herrscher“, ist der gesamte musikalische und theologische Inhalt der Passion schon angelegt und hörbar. Jesus ist nicht der leidende Menschensohn, er ist der Gottessohn, der über den Dingen steht und seinen Auftrag erfüllt.
Der Satz steht in g-Moll, der Tonart für Klage, aber auch für Ernsthaftigkeit und Schwermut, für Zärtlichkeit und Sehnsucht.
Die Geigen beginnen mit tumultartigen, wilden Sechzehntelketten die eine unglaubliche Unruhe verbreiten. Dazu ein nervtötender Orgelpunkt im Bass, gespielt von den Celli, den Kontrabässen, dem Fagott und vor allem dem riesengroßen Kontra-Fagott, bei diesen Klängen dröhnt der Fußboden. Dazu spielen die Bläser lange Noten in quälenden, schmerzvollen Dissonanzen, so dass es fast in den Ohren weh tut.
Plötzlich bewegt sich der Orgelpunkt chromatisch abwärts, alle Instrumente beginnen eine fulminante Steigerung, und dann setzt der Chor ein. Aber nicht mit einer Weiterführung dieser Motive, sondern mit wuchtigen blockartigen Akkord-Einwürfen. Hier betritt der Held, der Sieger, die Bühne.
Wie in einem echten Film, gibt es natürlich auch die Gegenspieler. Judas, eigentlich einer seiner glühendsten Anhänger verrät ihn in der Nacht im Garten. Petrus, ein treuer Freund schon seit der ersten Stunde, er verleugnet ihn vor dem Palast, als es darauf ankommt, ihm beizustehen. In einer ergreifenden, hoch emotionalen Arie singt er anschließend voller Verzweiflung über diesen Verrat an seinem Freund und Meister.
Besonders beeindruckend ist es, wie Bach die Gegenüberstellung der rasenden rachelüsternen Menge und dem in sich ruhenden über den Dingen stehenden Gefangenen Jesus musikalisch zeichnet.
Die Evangelistenworte und die Jesusworte in einfacher Klarheit als Rezitativ wechseln mit den kurzen, fast dämonisch wirkenden Choreinwürfen ab, die jedes Mal von „Null auf Hundert“ losbrechen. Bach verwendet ein Instrumentalmodell, das er bei jedem Chor weiterverwandelt und variiert, und dessen Verwendung die bindende Klammer ist.
Viele Seiten sind darüber geschrieben worden, dass im Text des Johannes-Evangeliums die Juden schuld an Jesu Tod sind, und es wird eine gewisse Form von Antisemitismus da herausgelesen. Selbst Bach hat man diesen Vorwurf gemacht. Er stellt aber diesen Rache- und Mordchören der Juden die kontemplative Analyse der Choräle an die Seite. Die Choräle heben das Geschehen auf eine andere Zeitebene, nämlich auf das Heute. Die Masse der Juden sind auch wir, sind alle Menschen. John Elliot Gardiner schreibt: “die Choräle gleichen nach einer Action geladenen Schilderung und den unversöhnlichen Interventionen eines fehlgeleiteten Mobs Inseln der musikalischen Vernunft.“
Der Antiheld der Geschichte ist Pilatus, römischer Statthalter in Jerusalem. Er ist ein schwacher Mensch, er gehorcht seiner Obrigkeit und will aber auch keinen Unschuldigen foltern und töten. Mit ihm diskutiert Jesus über die Fragen, wer ist was für ein König, und „was ist Wahrheit“?
Darüber diskutieren wir doch bis heute. Ich erzähle euch im nächsten Artikel, wie diese beiden das sehen.
Karin Freist-Wissing
Weitere Informationen zur „Johannes-Passion“ am 27. März 2022 in der Kreuzkirche.
Weitere Informationen zur „Matthäus-Passion“ am 15. April 2022 in der Kreuzkirche.